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Aus der Sonntags-NZZ vom 22. Juli 2007

Angeln galt lange als Hobby für reaktionäre Hinterwäldler. Das ist vorbei. Die kontemplative Pirsch auf das Flossenwild löst Golf als die Prestige-Leidenschaft der Elite ab.

Von Pascal Hollenstein

 

 

Sie fragt nicht mehr. Seit einem halben Jahr gibt die Verkäuferin am Bahnhofkiosk Bern keinen Mucks mehr von sich. Dabei kam der Satz doch vorher immer: «Soll ich Ihnen das Heft rollen?» Demonstrativ desinteressiert musterte sie das Magazin und den Käufer. Man konnte ihre Gedanken förmlich lesen: «Hat der das nötig?» Der unvermeidliche Soll-ich-das-Heft-rollen-Satz liess andere Kunden am Kiosk Heft und den Käufer mustern. Porno? Man liess das Heft gerne rollen. Und jetzt? Kein Wort mehr. Weder beim «Blinker», noch beim «Petri-Heil», noch beim «Raubfisch». Voller Selbstvertrauen legt man das Magazin mit dem Mann und dem Fisch auf dem Cover – andere Titelbilder kennt das Genre der Angelmagazine eigentlich nicht – jetzt hin, zahlt und schreitet unerrötet seines Weges.

Was sich da am Bahnhofkiosk in Bern zeigt, ist ein Indiz für die soziale Rehabilitierung der Sportfischerei. Genauso die Episode, die sich vor wenigen Wochen in einem Zürcher Tram ereignete: Zwei Sportfischer, Typ erfolgreiche Mittelständler, in vollerMontur auf dem Weg zum Gewässer. Man zeigt sich gegenseitig die neueste Erwerbung aus dem weiten Gebiet des Angel-Equipments, fachsimpelt lautstark über Wurfgewichte, Rutenaktion und Köder. Der Auftritt zeugt von einem Selbstbewusstsein, das bisher kaum zu beobachten war.

Eine breit angelegte sozioökonomische Studie zur Zusammensetzung und zum Verhalten des angelnden Schweizervolks kam 1999 zum Schluss, dass nur gerade 2 Prozent für den Weg ans Gewässer den öffentlichen Verkehr benutzten, weil sie «ungern in voller Anglermontur im öffentlichen Raum auftreten».
 

Fischende Grossbank

Die Zeiten, als der angelnde Mann – weit über 90 Prozent der Petri-Jünger sind Männer – sein archaisches Tun schamvoll verbarg, sind offenbar vorbei. Mann steht wieder zu seinem Jagdtrieb. Wie käme die Grossbank UBS sonst dazu, für ihre Image-Kampagne «You & Us» ausgerechnet einen Angler abzulichten? Mitten im Bach steht «Daniel Heller, Fliegenfischer und Personalverantwortlicher», mit Fliegenrute, Fischerweste und Wathose, krauses Haar, den Blick verträumt nach oben gerichtet. Die Szene könnte – abgesehen von der modernen Ausrüstung des fischenden Bankers – aus dem Film «A River Runs Through It» stammen. Der Streifen, bei dem der im realen Leben angelnde Robert Redford Brad Pitt durch die Flüsse Montanas pirschen liess, hat das Angeln cineastisch aus der Schmuddel-Ecke der Kochtopf-Fischerei herausgeholt.

Dass sich da ein fundamentaler Imagewandel anbahnt, hat auch die Zürcher Fliegenfischer-Legende Hans Ruedi Hebeisen registriert. Die Fischerei sei moderner geworden, berichtet Hebeisen, die Fischer anspruchsvoller. Im Trend liegt nicht nur erstklassiges Equipment von bekannten Marken, auch die Optik spielt mehr und mehr eine Rolle: «Früher trug man am Wasser einfach eine alte Hose», sagt Hebeisen, «heute muss auch die Bekleidung topmodisch sein.» Stilbildend wirken hierbei nicht zuletzt die einschlägigen Websites mit ihren zahlreichen Bildern herber, erfolgreicher Sportfischer. Die richtige Kappe, die richtige Weste, die richtige Polarisations-Brille, die richtige Tasche – die Angelwelt zeigt ihr eigenes Lebensgefühl mit Accessoires und Bekleidungsstücken. Dass das auch bei Jungen zieht, registrieren Angelgerätehändler mit Befriedigung. Jugend fischt und investiert ihr Taschengeld in Rute, Rolle, Köder & Co.

Globale Pirsch

3500 Franken gab der durchschnittliche Schweizer Angler 1999 für sein Hobby aus. Heute dürfte der Betrag deutlich darüber liegen. Nicht zuletzt wegen der Reisen. Der Schweizer Branchenleader «Fishermen Travel Club» (FTC) stellt eine Tendenz zum Ausland-Fischen fest. Der Trend geht zu exklusiven Destinationen: Alaska, Patagonien, Island. Alles Orte jedenfalls, an denen die Natur wild und unverbaut ist und die Fische beisswillig sind. Muss die Familie mit, watet Papa wenigstens am Morgen durch die kubanischen Flats und legt den einen oder anderen Bonefish auf die silbrigen Schuppen. Der typische Fisch-Reisende, berichtet FTC-Geschäftsführer Peter Wilhelm, angelt zum grossen Teil nur noch im Ausland, da ihn die heimischen Gewässer enttäuscht haben und er unter dem Jahr zu wenig Zeit hat, um seiner Passion nachzugehen. Dafür gibt er für den jährlichen Fisch-Urlaub dann gerne etwas aus: Ein Zwei-Wochen-Trip zu einer akzeptablen Lodge in Alaska kommt schnell einmal auf 7000 Franken zu stehen. Im Luxusbereich ist die Skala nach oben offen: Eine Lodge mit privatem Wasserflugzeug und persönlichem Guide? Oder doch lieber Heli-Fischen auf Taimen in der Mongolei? Die globale Fisch-Pirsch ist – das nötige Kleingeld vorausgesetzt – eröffnet.

«Internationales Fischen» nennt so etwas Hebeisen, und ja, man könne das durchaus mit Golfreisen vergleichen. Obwohl: «Golfplätze kann man noch Tausende bauen, die guten Fischwasser aber sind limitiert. An so einem seiner Passion nachgehen zu können, macht die Sache exklusiver. Abgesehen davon, dass man beim Fischen im Schnitt die netteren Leute trifft als auf dem Golfplatz.» Am Abend, wenn die ermatteten Fischer sich zum Whiskey in der Lodge zusammenfinden, dann verschwinden die sozialen Gräben, es zählt nur noch das Naturerlebnis, das Wasser und der Fisch. «Nein, Golf ist doch nicht der richtige Vergleich», korrigiert sich Hebeisen nun: Mit der Fliegenrute an einem erstklassigen Lachsfluss, «das kommt dem Polo schon näher». Im Idealfall bringt der Fischer von seiner Expedition auch noch das eine oder andere Filet mit. Selbstgefangener Fisch ist eine Gaumenfreude für Familie und Freunde. Mit Erzählungen von den Golfferien langweilt man sie dagegen nur.